Grüße an alle aus Illulissat im Westen Grönlands! Anbei ein paar Gedanken von mir zu den turbulenten letzten Tagen:
Nach den Rennen im August (Ulrichsberg und Kärnten Läuft) war ich ja aufgrund meiner - für meine Ansprüche und mein Leistungsvermögen - äußerst schwachen Leistungen doch eher niedergeschlagen und spielte auch schon mit dem Gedanken, vom Laufsport auf eine andere Ausdauersportart zu wechseln um zu sehen, was ich dort so erreichen kann. Aber Vorbereitung ist nun einmal Vorbereitung und wenn die Tagesform zudem nicht passt, dann kommen halt manchmal schlechte Resultate zusammen. Und unser LGS-Sportwissenschafter Peter Stern schaffte es wie immer meisterhaft, mich auf den Saisonhöhepunkt gezielt vorzubereiten und die Wettkampfleistungen am Reisberg sowie in Moosburg so wie die Trainingswerte im Vergleich mit vorherigen Herbst-Hauptwettkämpfen ließen auf eine optimale Form gegen Ende Oktober hoffen.
Etwas Kopfzerbrechen bereitete mir natürlich noch die Auswahl geeigneter Ausrüstung, was bei einem Stadtmarathon bei durchschnittlichen Temperaturen ja eher trivial ist. Hier konnte mir mein Freund Alex Tauchhammer, Veteran von Rennen wie ebendiesem Polar Circle Marathon, dem Nordpol-Marathon und dem Antarktis-Marathon, einige wichtige Tipps geben. Den Rest reimte ich mir selber zusammen. Die Wettervorhersage prophezeite sehr kalte Temperaturen von weniger als -20° C, für die ich mich zugegebenermaßen NICHT ausgerüstet hatte. Aber wie immer: Wenn's läuft, dann läuft's, und so pendelten sich die Temperaturen so um die -12° C mit wenig Wind ein, worauf ich gut eingestellt war. Mein alter Spruch "Wenn einem kalt ist, dann läuft man zu langsam" traf auf meine Ausrüstung zu. Manche meiner Vereinskollegen (ihr wisst, welche gemeint sind!) würden mit derartiger Ausrüstung einen Halbmarathon bei +10° oder einen Berglauf bei +15° bestreiten: Gewöhnliche Trailschuhe (kein Gore-Tex!), kurze Gamaschen, Kompressionsstutzen, innen aufgerauhte Lauftight (kein Futter!), dünne Laufkappe, dünne Handschuhe mit optional überziehbarem Windschutz, dünnes Halstuch und 3 Lagen Oberbekleidung (langes X-Bionic-Shirt dass bei Nässe warm und nicht kalt wird, innen aufgerauhter Odlo-Pullover vom Berglaufcup 2011 und unsere rote LGS-Windstopper-Jacke von Odlo), alles in allem also eher die Billig-Variante von Ausrüstung und dennoch an der obersten Grenze des zumutbaren, denn bei nur einer zusätzlichen Wärmekomponente wäre ich zerflossen.
Von einigen der Laufkollegen wurde ich vor dem Rennen schon als einer der großen Favoriten auf den Sieg auserkoren. Das war natürlich einerseits eine große Ehre, andererseits aber natürlich auch etwas belastend. Unter Druck entstehen Diamanten, aber natürlich kann falsch platzierter Druck auch einen Diamanten in Kohlestaub verwandeln.
Über den Verlauf des Rennens wurde eh schon anderweitig viel berichtet, einige Gedanken möchte ich da aber noch ergänzen:
- Die Taktik war ein vorsichtiger Start auf den schwierigen ersten paar Kilometern und man sollte sich an seine Taktik halten. Ich habe das getan.
- Peter Sterns Trainingspläne beinhalten oft Läufe im tief verschneiten Wald. Ich war wohl der Einzige der Sieg-Aspiranten, der diese Erfahrung hatte und nutzen konnte.
- Wenn man auf Zeit oder Platzierung läuft dann MUSS man im Laufen trinken können. Jede Labestation verschaffte mir einen gewaltigen Vorteil gegenüber der Konkurrenz, die oft stehenblieb und dann bei der Aufholjagd unnötig Kraft verpulverte.
- Nachdem ich alles von vorne lief, hatte ich den Eindruck, dass der mir folgende Däne stärker war als ich und nur darauf wartete, das Rennen später mit einer beherzten Attacke locker für sich zu entscheiden. Das stimmte nicht, aber so oder so: Auf dem 1. Halbmarathon muss man sein eigenes Tempo finden, auf seine Stärken vertrauen und sich im Rahmen seiner Möglichkeiten bewegen.
- Ich habe überhaupt keine Ahnung, wie der Däne ausgesehen hat, der so lange mit mir um den Sieg gekämpft hat. Ich habe ihn einfach nicht angesehen, jetzt nicht aus Arroganz, sondern weil es in jedem Rennen nur darum geht, dass man aus sich selber 100% herausholt. Wenn man das schafft, wird das Ergebnis immer zu 100% den realistischen Erwartungen entsprechen. Was platzierungsmäßig drin ist, hat man nicht selbst in der Hand, aber die eigene Leistung schon.
- Manche Läufer berichteten mir, dass sie komplett überrascht waren, dass der Lauf nicht flach war. Man muss sich aber - besonders bei schweren Läufen - so gut informieren, dass man sich auch auf die Gegebenheiten der Strecke vorbereiten und einstellen kann.
- Mit der Angst im Nacken, doch noch eingeholt zu werden, läuft es sich zwar nicht sonderlich gemütlich, aber das ist immer noch besser als gar keinen Antrieb zu haben, das Letzte aus sich rauszuholen.
- Das Allerschönste an einem Marathon ist der letzte Kilometer. Wer diese wunderbare Euphorie der körperlichen Belastung und emotionalen Ausnahmesituation noch nicht erlebt hat, der sollte sich dringend daran machen, auch einen Marathon zu bestreiten (natürlich mit entsprechender Vorbereitung!). Mein Puls war auf den letzten Metern sehr hoch, ich konnte aber keinen Schmerz spüren, flog dahin wie bei einem lockeren Sonntagmorgentraining.
Vielen Dank für all eure Anfeuerungen vor dem Rennen, Glückwünsche zum Marathonsieg und herzlichste Grüße aus Grönland.
Bericht: Norbert Zeppitz
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